EINMAL PFLEGEFALL UND ZURÜCK

Turnerin bereitet sich auf  Wettkampf vor
Alles fällt schwer. Aufstehen. Laufen. Zähneputzen. Sprechen. Sogar das Denken. Alle Gelenke tun weh, die Glieder sind unfassbar schwer. Das ist der Alltag vieler Menschen, die mit den Spätfolgen einer Corona-Erkrankung zu tun haben. Völlig gleich ob jung oder alt, gesund oder mit Vorerkrankungen. Auch Hannah B. ging es so. Sie war eine der ersten in Deutschland, die sich mit dem Coronavirus infizierte. Nach einem schweren Krankheitsverlauf konnte sie nach einigen Woche zwar das Krankenhaus verlassen, doch wie vor der Erkrankung wurde es nicht. Vor der Erkrankung studierte Hannah Sport, trainierte jeden Tag, probierte alles an Aktivitäten, was man ausprobieren kann. Im Urlaub liebte sie Klettern und Mountainbiken. Nach Corona konnte sie nicht einmal alleine das Haus verlassen. Die Treppen ihrer kleinen 2-Zimmer-Wohnung im 3. Stock wurden für Hannah zu einem unüberwindbaren Hindernis, das sie nicht einmal mit Hilfe bewältigen konnte. Aus der Traum von einer sportlichen Karriere, alles fiel in sich zusammen. Pflegefall. Mit 22.
 
Hannah B. wollte sich mit diesem Schicksal jedoch nicht abfinden. Sie sprach mit unterschiedlichsten Ärzten machte eine Reha, recherchierte im Internet, wann immer es die schnell schwindende Konzentration zuließ. Dort gibt es viele Meinungen, viele verzweifelte Versuche von Menschen, die das gleiche Schicksal teilten und noch mehr Verschwörungstheorien. Gute Ratschläge wie "Du musst dich einfach zusammenreißen, dann geht das bald wieder!" konnte Hannah bald nicht mehr hören. Jemandem, dessen Leben der Sport ist, zu sagen, dass er sich "zusammenreißen" soll und sich nicht hängen lassen soll, grenzt schon an Häme. In den vergangenen Semestern ihres Studiums hat Hannah mehr Sport gemacht, als so mancher Mensch in seinem gesamten Leben.
 
Doch wie bei so vielen Erkrankungen ist es auch mit Long COVID: man sieht äußerlich nichts und auch die Medizin kann nichts entdecken, was diese unfassbare Erschöpfung erklären könnte. Mann kann es nicht sehen, also muss es eingebildet, psychosomatisch sein. Wieder einer dieser jungen Menschen, die zu faul sind und ihr Leben einfach nicht in den Griff bekommen. Den ständigen Kampf, die täglichen Enttäuschungen und die wachsende Verzweiflung darüber, den Rest seines Lebens plötzlich als hilfsbedürftiger Pflegefall meistern zu müssen, sieht niemand. Die Aussichten: nahezu hoffnungslos. Doch Aufgeben war für Hannah nie eine Option.
 
Als Kind wollte sie unbedingt Turnerin werden. Wann immer im Fernseher ein Wettkampf zu sehen war, bei dem sich Athleten am Hochreck von Stange zu Stange schwangen oder meisterlich über den Holm des Barrens schwebten, saß Hannah fasziniert vor dem Gerät und wünschte sich nichts sehnlicher, als selbst irgendwann Felgabzug und Hüftschwung rückwärts beherrschen zu können. Damals war Hannah 4 Jahre alt und hatte durch Schwierigkeiten bei der Geburt Probleme mit der rechten Schulter und sehr schwach ausgeprägte Armmuskulatur. Doch Hannah hatte damals einen Traum und sie ließ nicht locker, bis ihre Eltern sie im heimischen Turnverein anmeldeten. Das war ein Wendepunkt in Hannahs Leben und sie zeigte allen, dass sie erreichen kann, was sie sich vorgenommen hat. Im Alter von 8 Jahren gewann sie die Stadtmeisterschaften und wusste von diesem Zeitpunkt an was sie wollte: Sport studieren und anderen Kindern dabei helfen, ihre Träume zu verwirklichen, egal welche Einschränkungen sie haben!
 
Genau diese Einstellung half ihr während all der Monate, nie wirklich aufzugeben. Und die Beharrlichkeit hat sich gelohnt. Im März 2022 stieß sie durch einen Artikel auf die Arbeit eines Sportwissenschaftlers, der durch Trainingsmethoden aus dem Leistungssport sehr gute Erfolge bei der Behandlung von Long COVID erzielt haben soll. Nach einem ausführlichen Telefonat mit dem Institut stand für Hannah fest: Das wird mein Weg! Bereits 14 Tage nach dem ersten Gespräch konnte Hannah mit der neuartigen Trainingsmethode beginnen. Es war schwer. Sehr schwer. Und die ersten Wochen war außer Frustration auch kaum eine Veränderung zu spüren. Dachte sie zumindest. Denn die Veränderungen kamen schleichend. Während sie vorher nicht einmal 2 Minuten auf dem Ergometer durchhielt, waren es nach 2 Wochen 5 Minuten, nach 5 Wochen 10 und nach 14 Wochen 20 Minuten. Kein Vergleich zu ihren Leistungen vor der Erkrankung, doch plötzlich konnte Hannah wieder selbstständig die 3 Etagen zu Ihrer Wohnung meistern, brach nicht nach 200 Metern langsamem Gehens zusammen und konnte viele alltägliche Dinge wieder selbstständig ausführen. Vor Beginn des Trainings hatte man ihr erklärt, was sie in den kommenden Wochen erwartet. Begleitet wurde das Training von regelmäßigen, speziellen Blutuntersuchungen, anhand derer sie die Veränderung, die in ihrem Körper stattfanden, auch nachvollziehen konnte. Durch das Training veränderten sich nach und nach die roten Blutkörperchen, die für die Sauerstoffversorgung im Körper zuständig sind. Bei Patienten, die unter Long COVID leiden, kommt es häufig zu einer Veränderung dieser roten Blutkörperchen. Sie verformen sich, werden steifer und können weniger und langsamer Sauerstoff transportieren, sodass es zu einer Unterversorgung kommt. Dieses Phänomen ist maßgeblich für die auftretenden Erschöpfungszustände verantwortlich.
 
Das spezielle Training unterstütze Hannahs Körper dabei, dieser Verformung entgegenzuwirken und neue, gesunde Blutkörper zu produzieren. All das ist nun gut ein Jahr her. Heute ist Hannah in ihrem letzten Semester. Eines ihrer Spezialfächer: Turnen. Entgegen aller Erwartungen konnte sie ihr Sportstudium wieder aufnehmen. Sie ist noch nicht wieder vollständig bei ihrer alten Leistungsfähigkeit, doch das kann man nach mehr als 2 Jahren Krankheit auch nicht erwarten. Fertig ist sie mit ihrem Weg nach Abschluss des Studiums jedoch nicht, denn ihr Traum hat sich verändert. "Nach meinem Abschluss möchte ich weiter studieren.", verrät Hannah. "Ich will danach Sportwissenschaft studieren und auch daran arbeiten, neue Therapien zu entwickeln.". Ihr Vorbild hierfür? "Hätte es Dr. Haiduk nicht gegeben, würden mir meine Eltern immer noch beim Duschen helfen müssen und für mich einkaufen gehen.". Mit diesen Worten zieht sie ihre Riemchen an und macht sich auf den Weg zum nächsten Felgaufschwung.

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